KelmL am 01.12.2021

AUS DEM WAFFEN-ARSENAL EINER SPITZFEDRIGEN AUTORIN
– Kunst-(t)räume schaffen ohne Waffen –

von Wolfgang Endler


Die Autorin unternimmt eine Innen- und Außenwanderung: manchmal durch Nebel oder auch Fettnäpfchen, zu diensthabenden Bären oder aufs Meer zu. Poesie & Prosa von Liebe & Beruf/ung, Alltag & Knalltag – oft von Musik & Drama begleitet. Besonders gefällt mir das skurril Sprachschöpferische, der Wechsel von Gedichten & Prosatexten sowie die grafische Gestaltung bis hin zu konkreter Poesie.

Nachdem Marion Kannen bereits 2020 im Rahmen der Reihe FREEdrichshagenerKleeBLATT in der Anthologie »(un)zeitgemäß. Anderswo ist schon da« vertreten war, legt sie hiermit eine eigene Publikation in dieser Reihe vor. Damit kann die Autorin die thematische und sprachliche Spannbreite ihrer Poesie und Prosa ausführlicher präsentieren. Sprachschöpferisches, oft skurriles Spielen ohne unverbindliches Wortgeklingel, Texte aus dem Leben als Anstöße zum »Freischwimmen«.

Beim ersten Durchblättern blieb mein Blick an der Überschrift »ANGSTHASENJAGD« hängen: eine poetische Moment-Aufnahme anstelle eines Lobs für weidmännische Tugenden (S. 23). Kurze, prägnante Metapher für eine/n Getroffene/n, die/der aktiv wird, anstelle Opfer nur zu sein oder zu bleiben. Für mich steht dies nicht nur für ein Entkommen aus dem »Liebesnebel« (so die Kapitelüberschrift). Vielmehr deute ich das „nun bist du dran“ für mich auch als Anstoß, den geschossenen Ball in Richtung Großkopfeten zurückzuschießen.

Als Liebhaber von Alliterationen sowie tierischer Aphorismen und dadaistischer Inspirationen biss ich mich fest in »zähne klappern im schnee« (S. 81). Lautmalerische Beschreibung einer Szene mit stotternd-schnatternder tierisch-pflanzlicher Kommunikation - und dann der menschliche Kommentar, englisch singend. Für mich eines der gelungenen Beispiele für die Mischung von Sprache/n, Musik und theatralischer Inszenierung – wohl kein Zufall angesichts des biographischen Hintergrundes von Marion Kannen als Theaterregisseurin.

Was kann »ordentlich leben« (S. 29) heißen? Auf diese Frage würde BB mit »Darauf ist keine Antwort« reagieren. Zwar gibt auch die Autorin keine vermeintlich hundertprozentigen Hinweise auf allzeit glückliche Lebensführung. Aber ihre ebenso eindringlichen wie unaufdringlichen Texte gefallen mir, weil sie zum Reflektieren und »Freischwimmen« anregen. Empfehlenswert insbesondere auch für Literaturinteressierte, die den spielerischen Umgang mit Sprache (ob Deutsch oder Englisch) lieben, für die Poesie-Verrücktheit keine Krankheit ist, sondern eine Quelle für Freude und Widerstandskraft gegen alltäglichen Druck.

Eine abschließende Anmerkung zu Umschlaggestaltung und Inhalt. Für mich passt beides sehr gut zusammen.


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